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Savages
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Savages
Von Björn Becher
Oliver Stone ist ein engagierter Politfilmer, der sich nicht scheut, kontroverse Theorien aufzugreifen („JFK"). Stone ist ein Autor, der in seinem autobiografischen Roman „Night Dream" sowie in mehreren Filmen („Platoon", „Geboren am 4. Juli") sein eigenes Vietnam-Trauma verarbeitet hat. Stone steht politisch links, auch daraus macht er kein Geheimnis („Comandante"). Stone kann coole, hip aussehende Filme inszenieren („U-Turn", „Natural Born Killers") und schreiben („Scarface"). Stone interessiert sich für Führungsfiguren – ob kriegerisch („Alexander"), politisch („Nixon", „W."), im Sport („An jedem verdammten Sonntag") oder als Meinungsmacher („Talk Radio"). In seinem neuen Film „Savages" finden sich all diese Seiten des Regisseurs wieder. Das erweist sich aber in gewisser Weise auch als Problem, denn zu vieles wird nur angerissen, oft sind Szenen genau in dem Moment zu Ende, in dem es gerade richtig interessant wird. So ist „Savages" nicht ganz der Film, der er hätte sein können, aber absolut sehenswert ist der stark inszenierte und besetzte Drogen-Thriller dennoch.
Die gegensätzlichen Freunde Chon (Taylor Kitsch) und Ben (Aaron Johnson) teilen sich nicht nur Liebe und Sex mit der schönen O (Blake Lively), sondern führen bereits seit Jahren auch ein erfolgreiches Drogengeschäft. Sie bauen das beste Gras im Süden der USA an und haben ein erfolgreiches Netzwerk hochgezogen, dass dank des korrupten Drogenfahnders Dennis (John Travolta) nicht bedroht scheint. Bis die mexikanische Drogenkönigin Elena Sánchez (Salma Hayek) auf den Plan tritt. Sie will sich die Indie-Operation der Freunde einverleiben. Buddhist und Entwicklungshelfer Ben, der seine Gewinne in Brunnen- und Schulprojekte in Afrika und Asien steckt, entscheidet, dem Drogenkartell das Netzwerk zu überlassen, doch die von Anwalt Alex (Demián Bichir) und Killer Lado (Benicio Del Toro) vertretenen Mexikaner wollen mehr. Sie haben es auf das Know-how von Chon und Ben abgesehen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, entführen sie O. Nun ist es an Chon zu handeln. Der traumatisierte Kriegsveteran schlägt mit Bens Unterstützung zurück und zieht alle Beteiligten in eine blutige Auseinandersetzung...
Was Oliver Stone an der Romanvorlage von Don Winslow („Kill Bobby Z") gereizt hat, liegt auf der Hand. Schließlich sind Chon und Ben so etwas wie die (übersteigerten) Verkörperungen der beiden höchst unterschiedlichen Seiten des jungen Oliver Stone selbst. Wie Chon durchlebte auch der spätere Filmemacher einst die Traumata eines Krieges, tötete Menschen für sein Vaterland. Wie Ben war der junge Stone aber auch ein idealistischer Weltverbesserer. Umso mehr verwundert es, wie schnell er das Interesse an diesen vermeintlichen Hauptfiguren zu verlieren scheint. Die Off-Erzählerin O darf die gegensätzlichen Freunde noch kurz vorstellen und umreißt ihre Persönlichkeiten mit ein paar Plattitüden: Ben ist der Geist, Chon die Erde; mit Ben ist es „Liebe machen", mit Chon „ficken". So möchte dann auch Ben friedliche Verhandlungen mit den Mexikanern, während Chon Stärke zeigen will und ein paar Army-Scharfschützen mit zum Treffen bringt. Doch dann rücken die Figuren stark in den Hintergrund, insbesondere die Wandlung von Ben, der zur Befreiung von O zur Waffe greifen und morden muss, wird allzu knapp abgehandelt. Trotz einer Filmlänge von immerhin noch 131 Minuten gibt es doch einige Leerstellen dieser Art. So bleibt etwa die im Off-Kommentar thematisierte, schwierige Beziehung von O zu ihrer Mutter mehr oder weniger reine Behauptung – was ganz sicher damit zu tun hat, dass der von „Pulp Fiction"-Star Uma Thurman gespielte Part der Mutter komplett dem Schnitt zum Opfer gefallen ist.
Oliver Stone lässt die rein dramatischen Elemente zunehmend links liegen und wandelt auf den Spuren seines coolen Noir-Thrillers „U-Turn". Die nuancierte Figurenzeichnung macht alsbald genussvoller Überzeichnung und Überspitzung Platz, denn nun bekommen die echten Rampensäue in der Besetzung immer mehr Raum zur Entfaltung. Da zeigt der zuverlässig übertreibende John Travolta als korrupter Drogenfahnder erst spät sein wahres Gesicht; Benicio Del Toro („Traffic", „Wolfman") ist als sadistischer und psychopathischer Killer, der sich am Töten und Foltern freut, die Grausamkeit in Person; Salma Hayek („From Dusk Till Dawn", „Frida") räkelt sich als Drogenkönigin lasziv auf dem Sofa oder lässt sich die Füße massieren, während sie via Webcam unnachgiebig Verhandlungen führt. Wie schon in „U-Turn" und vor allem in „Natural Born Killers", zelebriert Stone das Auftreten dieser gnadenlos übersteigerten Nebenfiguren als zugleich cooles und satirisch-komisches Event. Hin und wieder weicht der Filmemacher aber von dieser Linie ab und dann zeigt sich die wahre Klasse aller Beteiligten. So liefern sich Del Toro und Travolta in einer eindrucksvollen Szene ein intensives Duell, bei dem nicht zu erkennen ist, wer die Katze und wer die Maus ist. Und auch Hayek darf im Aufeinandertreffen mit Blake Livelys („The Green Lantern") O eine ungeahnte verletzliche Seite ihrer Figur offenbaren, die aber schnell wieder schonungsloser Brutalität weichen muss.
Das Kino von Oliver Stone war schon immer vom sehr bewussten Umgang mit den Mitteln des (filmischen) Erzählens geprägt, von den mosaikartigen Präsidentenfilmen über die provokanten Bilderfluten von „Natural Born Killers" zum eigenwilligen Zugriff auf die Historie – sei sie amerikanisch („JFK") oder antik („Alexander"). In „Savages" reflektiert der Filmemacher nun deutlich wie selten zuvor den Erzählvorgang selbst und seine Verlässlichkeit. So wird O als Erzählerin etabliert, aber die Off-Kommentatorin ist keineswegs eine zuverlässige Zeugin für die Wahrheit des Gesehenen. Sie zieht sie selbst in Zweifel, wenn sie darauf hinweist, dass sie am Ende der eigenen Geschichte womöglich gar nicht mehr am Leben sein wird. Solche Erschütterungen der Erzählperspektive sind seit den Zeiten des Film noir gang und gäbe, schon Billy Wilder hat seinen „Boulevard der Dämmerung" von einem Toten erzählen lassen. Stone spielt mit dieser Tradition und lässt seinen Film sogar in zwei verschiedenen Varianten des Finales münden. Die reizvollen Gedankenspiele, die sich aus dieser Erzählstrategie ergeben (Wie viel stimmt von der Geschichte von O überhaupt? Nehmen ihre Männer wirklich dieses Martyrium auf sich und legen sich mit einem mächtigen Kartell an, um ihre große Liebe zu befreien? Oder ist das nur ein Wunschtraum?) untergräbt Stone allerdings dann selbst gelegentlich, indem er Blake Lively allzu penetrant auftreten lässt und ihr pseudo-philosophische Kommentare in den Mund legt.
Mag „Savages" erzählerisch und darstellerisch nicht immer ganz auf der Höhe seiner Möglichkeiten sein, so gibt es an der visuellen Gestaltung nichts auszusetzen. Immer wieder haben die Bilder des Drogenfilms etwas Rauschhaftes oder Fiebriges, etwa wenn Szenen in schwarz-weiß angerissen werden und dann mit einem Flackern zu farbdurchtränkten Bildern gewechselt wird. Solche optischen Spielereien haben Oliver Stone und sein Kameramann Daniel Mindel („Star Trek", „John Carter") einige auf Lager, doch sind sie stets sinnvoll in einen Gesamtentwurf integriert. Ähnlich wie bei den Filmen des kürzlich verstorbenen Tony Scott, mit dem Mindel mehrfach zusammenarbeitete („Domino", „Der Staatsfeind Nr. 1") ist der Stil von „Savages" zwar dominant, aber keineswegs willkürlich gewählt. So geben Mindels Aufnahmen dem Film den Zusammenhalt, der ihm sonst fehlen würde und entfalten streckenweise eine ungeheure Sogkraft.
Fazit: Hipper Drogenfilm, brutale Komödie aus der Post-Tarantino-Zeit, Reflexion über filmisches Erzählen, Drama über Figuren am Abgrund oder Kommentar zur sogenannten Generation Y: All das ist „Savages" - fast. Die Lesarten bieten sich allesamt an, aber keine geht so ganz auf. Und so ist der Film hier der wahre „Wilde", der sich mit seiner Fülle an Ansätzen, Richtungen und Ideen nicht bändigen lässt. Doch genau das ist auch sein besonderer Reiz.
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